Die Geschichte des Ortes
Kaimauern, Hafenbecken, historische Bauten: in der HafenCity ist die Vergangenheit allgegenwärtig
Selbst wenn die HafenCity in ihrer Neu- und Einzigartigkeit diesen Eindruck vermitteln könnte: Der Stadtteil entsteht nicht auf der grünen Wiese, sondern ganz im Gegenteil an einem besonders geschichtsträchtigen Ort. Wer die HafenCity verstehen will, muss deshalb auch die Geschichte ihres Standortes kennen. Diese Geschichte ist reich an illustren Namen. Zunächst war es Kaiser Barbarossa, der (angeblich) im Jahr 1189 dem noch jungen Hamburg das Privileg der Zollfreiheit gewährte. Kurz darauf entstand ein erster Elbhafen an der Alstermündung, also in unmittelbarer Nähe der heutigen HafenCity. Er war Motor für die weitere Entwicklung der Stadt und wurde die Keimzelle einer Metropole. Mit den Jahren wuchs er immer weiter, wandelte sich mit den veränderten Ansprüchen neuer Zeiten und wurde mehrfach verlagert. Doch die Bedeutung des Hafens für die Hansestadt ist bis heute ungebrochen.
Apropos Hanse: In dem mittelalterlichen Handelsbündnis nahm Hamburg eine Schlüsselrolle ein: Bereits im 14. Jahrhundert war der hiesige Hafen zum wichtigsten deutschen Umschlagplatz zwischen Nord- und Ostsee geworden. So waren auch vor allem die Hamburger Kaufleute betroffen, als der legendäre Freibeuter Klaus Störtebeker begann, Schiffe der Hanse zu überfallen. Eine Hamburger Flotte stellte und besiegte ihn schließlich vor Helgoland. Der Pirat wurde nach Hamburg gebracht und auf dem Grasbrook, dem Gebiet der heutigen HafenCity, enthauptet.
Schon damals waren Hamburg und sein Hafen eng miteinander verwoben und diese Entwicklung setzte sich noch fast ein halbes Jahrtausend fort. Erst im 19. Jahrhundert wurden Hafen- und Wohnnutzung räumlich voneinander getrennt. Vorher mischten sie sich an vielen Orten und sogar in vielen Häusern der Stadt. Klassische Kaufmannshäuser beispielsweise boten Speicher-, Kontor- und Wohnflächen zugleich und standen als Fleetbebauung direkt am Wasser der Kanäle und der Alster – wenn auch nicht an der Elbe. Dabei profitierten die Menschen in Hamburg von ihrer Zollfreiheit: Die über den Hafen importierten Waren konnten im gesamten Stadtgebiet gelagert oder veredelt und dann ohne Abgaben wieder exportiert werden. Mit Schuten, also besonders kleinen Schiffen, wurden die Waren der Seeschiffe damals auf den Fleeten transportiert.
Hafenspuren
Und die Stadt wuchs: Auf den Fleetinseln Brook, Kehrwieder und Wandrahm, also auf der Fläche der heutigen Speicherstadt, entstand im 17. und 18. Jahrhundert ein prächtiges Barockviertel. Hamburger Kaufleute wohnten hier in repräsentativen Gebäuden mit großen Giebeln und eleganten Entrées. Das wohlhabende Bürgertum zog zwar bald wieder aus, da ihm der Hafen schnell zu nahe rückte. Aber nach dem Bürgertum kamen Arbeitende aus Handwerk und Hafen und in den letzten offenen Baulücken entstanden Kontore, Manufakturen sowie Speicher. Und sonntags flanierte die Bevölkerung schon damals gerne am Wasser. Vor allem im Rücken dieses Viertels, also auf dem Areal der heutigen HafenCity, wuchs der Hafen weiter.
Ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schlossen sich die hamburgischen Reederein und Kaufleute zu Handelszwecken mit den neu gegründeten Staaten in Südamerika zusammen und der Güterumschlag nahm stark zu. Deshalb konnte er nicht mehr, wie bisher, direkt im Strom bewältigt werden. Mit dem Sandtorhafen entstand 1863 bis 1866 das erste moderne Hafenbecken; die neuen Dampfschiffe fuhren nun unmittelbar in die Stadt hinein. Sie machten direkt an den neu geschaffenen Kaimauern fest und wurden mithilfe von Kränen be- und entladen. Vorher hatten die Schiffe noch an vorgelagerten Duckdalben festmachen müssen und die Ladung ließ sich durch Schuten löschen, die die Waren ihrerseits an Land transportieren mussten – ein umständlicher Ablauf. Doch nun wurden die Güter ohne Umweg vom Schiff direkt am Kai auf die Schiene (oder Straße) verladen; möglich war aber auch eine Lagerung in nahen Schuppen. Dieses Abfertigungssystem war das modernste weltweit und Hamburg galt bald als besonders schneller Hafen.
So entstand im Lauf des 19. Jahrhunderts jene hafentypische Struktur, die auch die HafenCity weiterhin prägen wird. Nachdem von 1862 bis 1866 der Sandtorhafen gebaut worden war, folgte von 1872 bis 1881 die Fertigstellung des Grasbrookhafens; außerdem kamen 1872 der Magdeburger Hafen, ca. 1880 der Brooktorhafen und 1887 der Baakenhafen hinzu. Um die Hafenanlagen vor Hochwasser zu schützen, wurde das ehemals tief liegende Marschvorland schrittweise auf vier bis fünf m über Normalnull aufgehöht. Wenn heute die Gebäude der HafenCity auf hochwassersicheren Warften entstehen, wird diese Entwicklung also fortgeschrieben. Auch der schnelle Weitertransport der Waren war inzwischen gewährleistet: Mit dem Brückenschlag über die Elbe wurde 1872 eine Eisenbahnverbindung nach Mittel- und Süddeutschland hergestellt – ausgehend vom Hannoverschen Bahnhof, der sich ebenfalls auf heutigem HafenCity-Gebiet (Quartier Am Lohsepark) befand. Hamburg baute so seine Rolle als Verkehrsknotenpunkt immer weiter aus; hier fand der Umschlag zwischen See- und Binnenschifffahrt, Bahn und Straße statt.
Zollfreiheit
Jahrhunderte lang hatte auch das noch immer geltende Privileg der Zollfreiheit den Boom des Hamburger Hafens befördert, doch nachdem die Freie und Hansestadt 1871 Teil des neu gegründeten Deutschen Reichs geworden war, waren diese Sonderrechte nicht mehr zu halten. Schließlich vereinbarten Senat und Reichsregierung einen Kompromiss: Im Stadtgebiet würde die Zollfreiheit zwar fallen, in einem abgegrenzten Hafengebiet aber weiterhin gelten. Um diese Freihandelszone kontrollieren zu können, mussten Hafen und Lagerstätten jetzt allerdings zum ersten Mal in der Geschichte an einem Ort zentriert werden. Voraussetzung dafür waren Baumaßnahmen im ganz großen Stil: Auf den Fleetinseln Brook, Kehrwieder und Wandrahm, also in unmittelbarer Umgebung der Hafenbecken, sollte der damals modernste Speicherkomplex der Welt entstehen. Zwar lebten dort rund 20.000 Menschen in den Altstadtvierteln, doch den kommerziellen Interessen der Kaufleute räumte die Freie und Hansestadt Priorität ein, während sie den bis dato dort Ansässigen nicht einmal eine Ersatzunterkunft stellte.
Jetzt wuchs eine Stadt in der Stadt: Die Speicher verfügten über eine eigene Energieversorgung (das Kesselhaus in der Speicherstadt ist heute das Infozentrum der HafenCity) und über neueste Technik zur Lagerung der Waren sowie deren Löschung von der Wasser- und der Landseite aus. Durch den Zollkanal wurde das Gebiet vom übrigen Hamburg getrennt; wer das Gewässer überquerte, musste sich vom Zoll kontrollieren lassen. Nun wohnte man an der Alster und handelte im Kontorhausviertel; die Speicherstadt wurde zum Herzen des Lagerhauskomplexes im Freihafen. Auch als Industriestandort gewann der Hafen an Bedeutung. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatten sich die Hamburger Gaswerke auf dem Grasbrook niedergelassen und versorgten von hier aus weite Teile der Stadt und der umliegenden Gemeinden.
Allmählich wandelte sich die Gaswerke immer mehr zu einem modernen Energielieferanten; das Stammwerk auf dem Areal der heutigen HafenCity wurde mehrmals erweitert und modernisiert. Der einsetzende Kautschuk-Boom griff ebenfalls auf Hamburg über: Aus Amazonien, später auch aus Asien, wurde der Rohstoff in die Hansestadt verschifft und dort gleich zu Gummi weiterverarbeitet – einem damals fast revolutionären, in zahlreichen Branchen gefragten Werkstoff. Einzig die Hamburger Werften hatten größere Belegschaften als die kautschukverarbeitenden Fabriken. Aber nicht nur für die Industrie wuchs die Bedeutung des Hamburger Hafens stetig, sondern auch für die zunehmende Zahl aus Europa Auswandernden, die sich von hier aus nach Süd- oder Nordamerika verschiffen ließen: Für sie war die Hansestadt das Tor zur Welt. Eine der ersten Abfertigungshallen für Auswandernde wurde auf dem Strandkai gebaut; erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand die sogenannte Auswandererstadt auf der Elbinsel Veddel. Mehrere Jahrzehnte lang war das Areal der HafenCity also der Schauplatz eines beispiellosen Wachstums und Brennpunkt (welt-)geschichtlicher Ereignisse, bis der Erste Weltkrieg dann die Entwicklung bremste. Danach lag der Handel lange darnieder und den in den 1920er-Jahren endlich folgenden Aufschwung bremste die Weltwirtschaftskrise gleich wieder aus.
Wiederaufbau
Der Zweite Weltkrieg veränderte das Gesicht des Hafens schließlich für alle Zeiten. Zunächst war er Schauplatz von NS-Verbrechen: Vom Hannoverschen Bahnhof aus wurden zwischen 1940 und 1945 mindestens 7.692 Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert, mehr als 6.000 von ihnen starben dort. Nach Kriegsende wurden die Reste des zerstörten Bahnhofs abgerissen und der Ort geriet in Vergessenheit. Erst mit der HafenCity rückt er nun wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Sein ehemaliger Standort liegt im Bereich des heutigen Quartiers Am Lohsepark. Die Gestaltung eines würdigen Erinnerungsortes und eines Dokumentationszentrums ist wesentlicher Bestandteil bei den Planungen rund um den Lohsepark.
Doch das „Dritte Reich“ nutzte den Hafen nicht nur für Deportationen; er war auch kriegswichtiger Verkehrsknotenpunkt sowie Industriestandort – und damit Ziel alliierter Bombenangriffe: Circa 70 Prozent der Speicher und fast 90 Prozent der Kaischuppen wurden zerstört. Nach 1945 begann zwar bald der Wiederaufbau; dabei wurden die Anlagen sogar noch einmal modernisiert und die Verheißungen des Wirtschaftswunders versprachen auch starkes Wachstum beim Güterumschlag. Doch ein weiterer revolutionärer Umbruch stand unmittelbar bevor. 1956 wurde der Frachtcontainer erfunden; für die neuen größeren Containerschiffe waren die alten Hamburger Hafenbecken jedoch zu klein und zu flach und die Lagerflächen bei weitem nicht groß genug. Tieferes und breiteres Wasser, mehr Lagerfläche und dafür weniger Kaimauerlänge waren nun vonnöten. Südlich der Elbe entstanden deshalb eigene Containerterminals. Die innenstadtnahen Hafenbecken, Kaianlagen und Schuppen konnten zwar weiter von der konventionellen Schifffahrt genutzt werden, auch Waren wurden noch gelagert und verarbeitet sowie Energie produziert, doch die Bedeutung des Areals für die Industrie nahm immer weiter ab, bis der Senat 1997 beschloss, auf diesen Flächen eine neue Stadt, die HafenCity, entstehen zu lassen und gleichzeitig den Hafenausbau Altenwerders zu finanzieren.
Spuren einer bewegten Geschichte werden auch im neuen Stadtteil allgegenwärtig sein. Als verbindendes Element und Entrée funktioniert das historische Backstein-Ensemble der Speicherstadt: Denn während die denkmalgeschützten Gebäude weitgehend unberührt bleiben, sind schon heute neue Nutzungen hinter den verklinkerten Fassaden zu finden. Neben Museen und traditionellen Warenlagern haben hier jetzt Multimedia-Agenturen, Kreative und Kulturschaffende ihren Platz. Seit 2008 bilden Speicherstadt und Projektareal HafenCity gemeinsam den neuen Stadtteil HafenCity. Für die HafenCity selbst sind vor allem die alten Hafenbecken prägend: Ihre Kaimauern werden saniert und ihre weiten Wasserflächen tragen zur Attraktivität der HafenCity bei. Teilweise lassen sie sich neu interpretieren, beispielsweise im Sandtorhafen als Traditionsschiffhafen mit historischen Dampfern, Segelschiffen und Kränen.
Auch einige historische Gebäude bleiben erhalten: Auf dem Kaispeicher A ist mit der Elbphilharmonie ein neues Wahrzeichen Hamburgs entstanden, in den Kaispeicher B ist das Internationale Maritime Museum Hamburg eingezogen, das Alte Hafenamt wird zum gastronomischen Zentrum im Überseequartier und an der Shanghaiallee bleibt mit dem Prototypmuseum der erste große Industriestandort präsent. Und natürlich bleibt die Speicherstadt als Gesamt-Ensemble erhalten. Sie ist seit 2015 UNESCO-Weltkulturerbe und wird die HafenCity beeinflussen und prägen, ebenso wie die HafenCity-Neuentwicklung der Speicherstadt neue wirtschaftliche Ebenen eröffnen wird. Selbst über solche offensichtliche Einflüsse hinaus spielte die Historie bei vielen stadtplanerischen und architektonischen Entscheidungen eine wichtige Rolle. Zahlreiche historische Bezüge sind klar erkennbar, andere sind eher subtil und wirken fast schon unbewusst. So werden sich Alt und Neu an vielen Orten im Stadtteil treffen, vielleicht verbinden – und auf jeden Fall einen spannenden Dialog eingehen, auch wenn die HafenCity selbst – bis auf wenige Gebäude – aus Neubauten bestehen wird.